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Ingenieurbau in Potsdam

„Moschee“ ist Denkmal der Ingenieurskunst

Das Innere des Pumpenhauses vereinigt Gestaltungselemente aus mehreren  islamischen Bauwerken.

Das Innere des Pumpenhauses vereinigt Gestaltungselemente aus mehreren islamischen Bauwerken.

Innenstadt. Es ist das wohl meistfotografierte Gebäude der Stadt Potsdam und das am häufigsten fehlgedeutete: Die „Moschee“ an der Havelbucht ist nämlich keine, sondern ein historisches Dampfmaschinenhaus, mit dem seit 175 Jahren die Fontänen im Park Sanssouci betrieben werden. Am gestrigen Donnerstag bekam das Bauwerk den Titel „Historisches Wahrzeichen der Ingenieurbaukunst in Deutschland“ verliehen. 20 davon gibt es erst, darunter das Schiffshebewerk Niederfinow im brandenburgischen Landkreis Barnim und der Leutturm Roter Sand in der Wesermündung (Niedersachsen).

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Der Titel wurde durch die Bundesingenieurkammer verliehen, die damit das selten komplette Bauwerk als ideale Einheit von Technik und Kunst würdigt. Auf einer Festveranstaltung stellte die für den Betrieb zuständige Stiftung Preußische Schlösser und Gärten (SPSG) Berlin-Brandenburg häufigere Öffnungszeiten des Denkmals in Aussicht, falls ein deutlich höherer Bedarf als bisher sichtbar wird. Derzeit ist die „Moschee“ nur auf Anfrage zu besichtigen, schade, wie die Festredner fanden, denn das Bauwerk birgt Geschichten aus der Geschichte und zahlreiche technische Details, die noch heute verblüffen.

Das Pumpenhaus auf einer alten Postkarte

Das Pumpenhaus auf einer alten Postkarte

Der Potsdamer Fachhochschulprofessor Andreas Kahlow hat eine 90seitige Broschüre über das Bauwerk geschrieben und gab in einer Freiluftvorlesung zur Titelvergabe viele kaum oder gar nicht bekannte Fakten preis. Er erinnerte an den ersten und kläglich gescheiterten Versuch von 1748, das Havelwasser mittels Windmühlenpumpen über 1,8 Kilometer lange Leitungen aus aufgebohrten Baumstämmen ins Hochbecken auf dem damaligen Höneberg, dem heutigen Ruinenberg, zu drücken, um von dort die tiefer gelegenen Fontänen im Schlosspark zu speisen. Niemand vermochte damals, den Druck zu berechnen, der in den Leitungen zum Berg hinauf entstehen würde; er war trotz der schwächelnden Pumpen viel zu hoch; die „Rohre“ platzten. König Friedrich II. hatte 168490 Taler in den märkischen Sand gesetzt, eine astronomische Summe, die heute mehrere Millionen Euro ausmachen würde.

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Doch unter Friedrich Wilhelm IV. rund hundert Jahre später war man technisch weiter, hatte sich die Dampfmaschine etabliert, waren Eisen und Gusseisen die bevorzugten Materialien für Anlagen wie diese. Aus Guss fertigte man gern die filigranen Verzierungen der tragenden Säulen der eisernen Riesenpumpe an. Kahlow zufolge konnte man damals zwar in etwa den Druck errechnen, den die von Johann Carl Friedrich August Borsig in Berlin gebaute Pumpe erzeugte, nicht aber den im Rohrsystem dahinter. Mit „viel Gefühl und Erfahrung“ habe Borsig die Vorgaben des Mathematikers Adolf Ferdinand Wenceslaus Brix und des Bauführers Moritz Wilhelm Gottgetreu umgesetzt. Wegen lukrativerer Aufträge etwa im Lokomotivbau lieferte Borsig die Anlage für Potsdams Schlossfontänen allerdings mit fünf Wochen Verspätung, wofür ihm der König 500 Taler Vertragsstrafe aufbrummte. Mit einem Brandbrief beschwerte sich Persius nach einer längeren Paris-Reise bei Borsig über den Zeitverzug: „Bedenken Sie“ appellierte er an den Industriellen, „dass die Anlage der Wasserwerke zur Zeit das größte Bauvorhaben im Staate ist, dass der König, das Land, ja man kann sagen, die Welt an der von Ihnen zugesagten Vollendung des Werkes Anteil nimmt.“ Borsig hatte dafür zwar Verständnis, winkte aber ab. Er gebe sich Mühe, erwiderte er dem königlichen Baumeister, aber schneller gehe es halt nicht.

Schwerer Anfang, toller Neustart

Das Dampfmaschinenhaus an der Neustädter Havelbucht ist das zugleich reizvollste und fremdartigste Bauwerk in Potsdam sowie ein bemerkenswertes Architekturbeispiel für Zweckbauten der frühen Industrie im 19. Jahrhundert. Friedrich Wilhelm IV., der „Romantiker auf dem Thron“, ließ diese schönste Kraftanlage Preußens in den Jahren 1841–43 von Ludwig Persius errichten. Es ist das einzige Pumpenhaus im maurischen Stil. Das damals noch vom Schloss Sanssouci aus sichtbare Gebäude setzte einen malerischen architektonischen Akzent in die Potsdamer Kulturlandschaft.

Im Oktober 1842 ging die 81,4 PS starke Dampfmaschine in der „Moschee“ erstmalig in Betrieb und ließ den Wasserstrahl der großen Fontäne vor Schloss Sanssouci auf imposante 38 Meter steigen. Mit dieser damals in Preußen stärksten Maschine, gebaut vom noch jungen Unternehmer August Borsig, wollte sich König Friedrich Wilhelm IV. gegenüber der technischen Vormachtstellung Englands behaupten.

Auch wenn heute die Wasserversorgung der Fontänen im Park Sanssouci mittels moderner Elektropumpen erfolgt, können Besucher der „Moschee“ das technische Wunderwerk von einst noch in Betrieb erleben – ein Faszinosum für Jung und Alt.

Der orientbegeisterte König wollte als Hülle für die Anlage ein „Maschinenhaus ... nach der Art türkischer Moscheen mit einem Minarett als Schornstein“ haben. Borsig entwarf aus technischen Gründen eine streng symmetrische Anlage – ein Graus für den ausführenden Baumeister Ludwig Persius, der ständig zwischen den Ideen des Königs und denen Borsigs vermitteln musste. Er rückte den Schornstein aus der Mitte weg und fügte an einer Gebäudeseite die Wohnung des Maschinenmeisters an, die heute noch durch einen solchen bewohnt ist. Die Pumpen laufen längst elektrisch, doch das Pumpwerk ist ansonsten noch originalgetreu vorhanden. Die Moschee ist auch nicht türkisch geworden, sondern maurisch: sie vereint von Persius nachempfundene Elemente der Moschee von Cordoba und der Alhambra-Burg von Granada in Spanien sowie der Emir-Jacour- und Ibrahim-Aga-Moschee von Kairo (Ägypten).

Mit 81,4 PS Leistung war Borsigs Dampfmaschine am Premierentag des 23. Oktober 1842 die stärkste in Preußen. Der König wollte mit ihr die damals marktbeherrschenden Briten in die Schranken weisen. Diese aus zwölf Pumpen und zwei Reservepumpen bestehende Maschine ließ die Fontäne vor dem Schloss Sanssouci erstmals auf erstaunliche 38 Meter Höhe steigen, eine Sensation. 199 410 Taler hatte die gesamte Fontänenanlage gekostet.

Von Rainer Schüler

MAZ

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