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Juden in Nazideutschland: Recht- und schutzlos

Foto: London Express/ Getty Images

Jüdische Emigration Gehen oder Bleiben?

Als die NS-Machthaber 1933 zum Boykott jüdischer Geschäfte aufriefen, glaubten viele Juden in Deutschland noch an einen baldigen Machtwechsel und erduldeten die Schikane. Erst nach und nach entschlossen sich manche zur Flucht - doch da war es oft schon zu spät.

Am 1. April 1933 erfolgte der erste Schlag gegen die Juden Deutschlands. Die Nationalsozialisten riefen zum landesweiten Boykott jüdischer Geschäfte, Ärzte und Rechtsanwälte auf. Fensterscheiben wurden mit Parolen wie "Juda verrecke" oder "Deutsche, kauft nicht beim Juden" beschmiert. Hetzschriften, Aufrufe in Zeitungen und Plakate verdeutlichten in der Öffentlichkeit die Botschaft.

Im Jahr 1933 gab es etwa 500.000 Juden in Deutschland - jüdische Deutsche, deutsche Juden, Deutsche jüdischen Glaubens. Dies entsprach ungefähr einem Prozent der Gesamtbevölkerung. Der Großteil sah sich als deutsche Staatsbürger, und die beginnende Ausgrenzung traf viele wie ein Schlag. Sie wollten die Veränderungen nicht wahrhaben und hofften auf einen schnellen Regierungswechsel.

Aber für die Nazis stand in den Jahren 1933 bis 1935 die Verdrängung von Juden aus dem wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Betrieb ganz oben an. Die Auswanderungszahlen dieser Jahre belegen allerdings, dass nur eine Minderheit der jüdischen Bürger bereit war, ihre Heimat einfach aufzugeben. Hatten 1933, nach dem Schock der Machtübernahme durch die Nazis, noch rund 37.000 von ihnen Deutschland verlassen, so emigrierten im Jahr darauf nur noch 23.000 Juden. Und angesichts der eher zurückhaltenden antijüdischen Propaganda im Vorfeld der Olympischen Spiele in Berlin 1936 sank die Zahl 1935 sogar auf "nur" noch 21.000 jüdisch-deutsche Auswanderer.

Ein vorübergehender Zustand?

Die "Nürnberger Gesetze" von November 1935 schrieben fest, dass nur Reichsbürger "deutschen" oder so genannten "artverwandten" Blutes "alleinige Träger der politischen Rechte" seien. Juden wurden zu Staatsbürgern ohne Reichsbürgerrechte degradiert. Das notorische "Gesetz zum Schutz des deutschen Blutes und der deutschen Ehre" verbot in vielen Bereichen den Umgang zwischen Juden und Nichtjuden. Eheschließungen und "außerehelicher Verkehr" zwischen ihnen waren nun ebenso untersagt wie die Beschäftigung "arischer" Hausmädchen unter 45 Jahren durch Juden. Der sogenannte Arier-Nachweis wurde für die Zulassung zu vielen Berufen unabdingbar. 1936 verließen so wieder 25.000 Juden ihre Heimat.

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Juden in Nazideutschland: Recht- und schutzlos

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Erst mit der Pogromnacht vom 9./10. November 1938, deren Gewalt und Zerstörungswut die verbliebene jüdische Gemeinschaft mit Wucht traf, wurde vielen Juden die lebensbedrohliche Lage deutlich. Der organisierte Volkszorn entlud sich an Synagogen, jüdischen Geschäften und Privatpersonen. Tausende von männlichen Juden wurden verhaftet und für Tage oder Wochen in Konzentrationslager verschleppt. Die Inneneinrichtungen von Wohnungen, Läden und jüdischen Gotteshäusern wurden demoliert, zertrümmert und verbrannt.

Die totalitäre Natur des NS-Regimes, das selbst bis dahin von vielen noch in Deutschland lebenden Juden als "vorübergehender politischer Zustand" angesehen worden war, war nun nicht mehr zu leugnen. So verließen 1938 insgesamt 40.000 Juden das Land.

Auswandern - aber wohin?

Erschwert wurde dies durch den Unwillen vieler Länder, jüdische Flüchtlinge aus Deutschland aufzunehmen. Beispielhaft reagierte dagegen Großbritannien, das die größte Rettungsaktion für Juden während des Nationalsozialismus' initiierte und damit rund 10.000 Kindern und Jugendlichen das Leben rettete. Sie wurden getrennt von Eltern und Geschwistern außer Landes gebracht und meist in Pflegefamilien untergebracht. So entgingen sie dem NS-Völkermord und waren häufig die einzigen Überlebenden ihrer Familien.

Im Jahr 1939 stieg die Zahl der jüdischen Flüchtlinge dann drastisch: Rund 78.000 Juden verließen Deutschland. Doch die Auswanderung wurde ständig durch neue Gesetze erschwert. Bereits seit 1933 wurde die "Reichsfluchtsteuer" von den Nazis benutzt, um jüdische Emigranten auszupressen. Hinzu kam die Abgabe an die deutsche Golddiskontbank für transferiertes Geld. In Einzelfällen konnte ein Prozentsatz bis zu 300 Prozent erhoben werden.

Nun sollten die deutschen Juden gemeinsam für die Schäden der Pogromnacht zahlen: "Die feindliche Haltung des Judentums gegenüber dem deutschen Volk und Reich, die auch vor feigen Mordtaten nicht zurückschreckt, erfordert entschiedene Abwehr und harte Sühne", hieß es in der von Hermann Göring unterzeichneten "Verordnung über die Sühneleistung der Juden deutscher Staatsangehörigkeit". "Den Juden deutscher Staatsangehörigkeit in ihrer Gesamtheit wird die Zahlung einer Kontribution von 1.000.000.000 Reichsmark an das Deutsche Reich auferlegt." Jeder Juden mit einem Vermögen von mehr als 5000 Reichsmark musste ein Viertel davon abführen.

Makabere Anleihe im Mittelalter

So wurde es fast unmöglich auszuwandern. Die Juden sollten zwar das Land verlassen, das Kapital wollten die Nazis aber nicht ziehen lassen. Da vielen Juden die wirtschaftliche Basis bereits in den Jahren 1933 bis 1936 entzogen worden war, blieben kaum noch Möglichkeiten. Auswanderung war die einzige Chance, dem nationalsozialistischen Terror zu entfliehen, doch sie war oft genug unbezahlbar.

Mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges begann die von den Nationalsozialisten angestrebte "Endlösung der Judenfrage". Seit dem 1. Januar 1939 waren die Pässe von Juden mit einem roten, zwei Zentimeter großen "J" gekennzeichnet. So sollten auch potenzielle Aufnahmeländer die Juden sofort erkennen. Mit dem deutschen Überfall auf Polen am 1. September 1939 ging die Zahl der jüdischen Flüchtlinge zurück, und eine aus dem Mittelalter übernommene Markierung von Juden erlebte seit dem 1. September 1941 in Deutschland eine makabere Renaissance.

Der "Judenstern" stigmatisierte nunmehr alle Juden, die das sechste Lebensjahr vollendet hatten: ein großes schwarzes "J" auf einem gelbem Davidstern. Einst stolzes Zeichen des jüdischen Königs David, musste es nun für die öffentliche Brandmarkung der Juden herhalten. Lediglich 23.000 konnten sich nun noch bis zum endgültigen Auswanderungsverbot am 23. Oktober 1941 in Sicherheit bringen. Wer jetzt noch in Deutschland war, hatte keine Möglichkeit mehr, das Land legal zu verlassen.

Bei der Wannsee-Konferenz im Januar 1942 wurde von den Nationalsozialisten der Massenmord an den europäischen Juden organisiert. Deportationen in die Gaskammern der Vernichtungslager in Osteuropa hatten bereits Mitte 1941 eingesetzt. Bis zum Kriegsende gelang nur noch rund 8.500 Juden die Flucht aus Deutschland. Über sechs Millionen europäische Juden fanden durch den Rassenwahnsinn der Nationalsozialisten in der Zeit 1933 bis 1945 den Tod.