In Brasiliens Kleinstadt Caetité befindet sich Lateinamerikas einziges Uranbergwerk. Trotz massiver Umweltbelastungen gibt es kaum Proteste. Und eine neue Mine ist bereits in Planung.

Caetité - Wie wird aus einer Halde voller Schotter Uran herausgelöst? Wie muss sich ein Laie das vorstellen? „So wie wenn Sie heißes Wasser auf Kaffeepulver gießen“, antwortet Luiz Alberto Gomiero knapp. „Schon haben Sie Ihren Kaffee!“ Er muss es wissen, er ist der Vizedirektor von Lateinamerikas einziger Uranmine.

 

Ja, so lässt es sich beschreiben: Uranhaltiges Gestein wird auf Haselnussgröße zerkleinert und mit Schwefelsäure übergossen. Was herausfließt, nennen die Fachleute „licor de urânio“. Dieser Uranlikör wird chemisch gesäubert und konzentriert. Bis zu dieser Stufe „sind wir nur ein Steinbruch mit Chemiefabrik“, sagt Gomiero. Die Atomanlage beginne erst danach, wenn dem verdickten Uranlikör alle Flüssigkeit entzogen ist und der gelbe Staub entsteht, für den sich die Atomindustrie den fröhlichen Namen „yellow cake“, auf Deutsch gelber Kuchen, hat einfallen lassen.

Seit Menschengedenken war das Binnenland in Brasiliens Nordosten eine Landschaft voll Tod und Tragik, weil mörderische Dürren zeitweise alles Leben auszulöschen drohten. Heute schickt der Staat Wasserwagen, die Not ist gemildert, aber Arbeit in der Landwirtschaft, so wie früher, gibt es trotzdem kaum noch. Hier, nahe der Kleinstadt Caetité, zwölf Stunden Busfahrt westlich von Salvador de Bahia, werden die 400 Tonnen Uran erzeugt, die Angra 1 und 2 mit Brennstoff versorgen, die beiden Atomkraftwerke Brasiliens.

560 Arbeitsplätze, die allesamt begehrt sind

Der Staatskonzern INB, der die Mine betreibt, bietet etwa 560 Arbeitsplätze, zum Großteil über Fremdfirmen. Wer einen ergattert hat, schwärmt gerne so wie Neuzete dos Santos, eine Hilfskraft im Labor: „Was würden wir nur machen ohne die Mine. Früher sind die Männer zur Zuckerrohrernte nach Südbrasilien gegangen. Diese Leidensfahrten haben jetzt endlich ein Ende!“

Die Lastwagen keuchen über Terrassenstufen hinauf, hinaus aus der Grube Cachoeira, die 150 Meter in die Tiefe ragt. Bis jetzt wird das Gestein – zwei Millionen Tonnen pro Jahr, ein Zehntel davon enthält Uran – nur im Tagebau gebrochen. Einen Stollen, der sich wie ein Korkenzieher um ein lotrecht abfallendes Vorkommen in die Tiefe winden würde, will die Aufsichtsbehörde, die Nationale Atomenergie-Kommission CNEN, wegen der Belüftungsprobleme nicht genehmigen. Deshalb wird in Cachoeira und einer Grube nebenan nur über Tage abgebaut.

Die INB steht zwar im Ruf einer miserablen Informationspolitik, aber Gomiero und sein Chef Hilton Mantovani nehmen sich jede Menge Zeit, um die Anlage zu zeigen. Sie beteuern, dass sie die Umweltauflagen ebenso strikt befolgen wie die Sicherheitsvorschriften. Mantovani fallen nur vier „außergewöhnliche, aber nicht gefährliche“ Zwischenfälle seit Beginn der Förderung im Jahr 2000 ein. Es werde viel geredet und übertrieben, sagt er. Was die Firma auch immer kommuniziere, werde stets verdreht. Für Mantovani zählt nur eins: weder die Nationale Atomenergie-Kommission noch die Naturschutzbehörde Ibama hätten der Mine je die Betriebserlaubnis entzogen, wenngleich es mit Ibama gelegentlich „schwere Probleme“ gebe, nie aber wegen radioaktiver Strahlung.

Riesige Becken mit Abwässern

Bei den Ausspülungsprozessen, die den Uranlikör immer reiner machen, füllen sich riesige Becken mit Abwässern. „Wir können es uns gar nicht leisten, irgendwas in die Natur zu entlassen“, sagt Gomiero. „Das Wasser ist viel zu knapp.“ Die Becken seien mit Spezialmatten ausgekleidet, die auf einer Tonschicht lagern – da könne gar nichts in den Boden dringen. Obwohl recycelt wird, müssen pro Stunde zehn bis zwölf Kubikmeter Wasser hinzugefügt werden, also an die 300 Kubikmeter pro Tag. Das ist viel in einer Gegend, die ein halbes Jahr lang in der Hitze brütet. Unter anderem kommt das Wasser aus 160 Brunnen, die der Staatskonzern INB nicht nur auf den eigenen 1800 Hektar, sondern in der Nachbarschaft hat bohren lassen.

Wenn man bei Elenilde Alves Cardoso aus dem Küchenfenster schaut, sieht man in der Ferne die grauen Abraumhalden inmitten der Buschlandschaft. Sie ist Gesundheitsberaterin in Riacho de Vaca und gar nicht froh darüber, dass die Mine der Nachbar der 47 Familien dieser Gemeinde ist. Was sie von den Brunnen sagt, hört sich nach Bauernlegen an. Der Staatskonzern INB habe wer weiß was versprochen, um auf den fremden Grundstücken bohren zu dürfen, aber nichts davon eingehalten: „Wir wissen nicht mal, ob das Wasser verseucht ist. Manche Brunnen versiegeln sie, ohne uns ein Wort zu sagen“, kritisiert die Gesundheitsberaterin und kennt die Probleme der Region nur zur Genüge. „Landwirtschaft gibt es praktisch gar nicht mehr, das Wasser reicht einfach nicht“, sagt sie bitter. Das sei zwar schon immer ein Problem gewesen, aber durch die INB habe sich alles verschärft. „Wir können nichts mehr anbauen, selbst das Vieh hungert!“ Der Ort lebe inzwischen vor allem von Rentenzahlungen und Sozialhilfe.


Florisvaldo Cardoso sitzt auf einem seiner Zentnersäcke Maismehl. Daneben steht, unter einem Heiligenbild mit Christbaumkugel, seine Honda. „Der Aufkäufer zahlt mir nur 100 Reais“ – rund 30 Euro – „für 50 Kilo, weil er sagt, es sei wegen der Mine schwer abzusetzen“, klagt er, „aber natürlich verschweigt er seinen Kunden, dass das Mehl von hier ist!“ Und so, sagt Florisvaldo, entgehen ihm 50 Reais pro 50 Kilo. „Verkaufen und weggehen kann ich nicht, das Land will ja niemand“, fügt er hinzu, „höchstens die INB, aber die zahlt nur einen Spottpreis“.

Mag sein, dass Mantovani sich nur an vier Zwischenfälle erinnert. Ein Bericht, den die brasilianische Menschenrechtsgruppe Dhesca 2011 erstellen ließ, listet mindestens ein Dutzend weitere auf, und auch nach 2011 ging es munter weiter mit den Vorfällen. Fünf Millionen Liter Uranlikör in die Landschaft gelaufen, uranhaltige Flüssigkeit im Riacho de Vaca festgestellt, Matten des Auffangbeckens gerissen, 900 Liter Uranlikör aus gebrochenem Rohr gelaufen, Betriebsstopp wegen eines Einsturzes in der Mine, Wachmann am Ende einer Zwölf-Stunden-Schicht in ein Auffangbecken gefallen, Arbeiter ohne Schutzmasken, aber mit gelben Nasenlöchern – so lauten die Vorwürfe. Bevor der Staatskonzern INB kam, hat niemand jemals die Krebshäufigkeit in der Region ermittelt. Immerhin: demnächst soll Caetité eine onkologische Spezialklinik bekommen.

Greenpeace hat die Belastung der Brunnen dokumentiert

Zum Skandal kam es 2008, als Greenpeace aus acht Brunnen Proben zog und in England untersuchen ließ: Eine wies eine siebenmal höhere Urankonzentration auf als der von der Weltgesundheitsorganisation angegebene Höchstwert, eine zweite eine doppelt so hohe. Aber die Aufregung flachte bald ab. Die Bewegung der INB-Gegner vor Ort ist winzig. Der Bürgermeister von Caetité ist bei der INB angestellt. Ein rühriger Priester, der der Firma auf die Nerven ging, wurde nach Todesdrohungen abgezogen. Caetité liegt fernab von allem. Und die Gesellschaft steht der Atomkraft neutral oder wohlwollend gegenüber, weil sie als der Entwicklung dienend gepriesen wird. Über Gefahren wird nicht diskutiert. Was mit dem Atommüll geschieht, scheint nicht einmal die Experten zu kümmern.

Dabei schickt sich Brasilien an, seine Atomwirtschaft kräftig zu erweitern. 2018 soll der dritte Reaktor in Angra, 150 Kilometer westlich von Rio de Janeiro, ans Netz gehen, und 2030 will Brasilien weitere vier Meiler gebaut haben. Parallel dazu wird die Uranförderung in den nächsten Jahren gesteigert. In Caetité will die INB die Produktion verdoppeln, 350 Millionen Dollar werden in die Erschließung einer neuen Mine in Ceará, weiter im Norden, gesteckt. Brasilien soll von 2022 an nicht wie heute 400, sondern 2400 Tonnen Uran erzeugen. Für den Eigenbedarf ist das viel zu viel – schon seit einigen Jahren sondieren die Brasilianer ihre Exportchancen.

Die Brasilianer wollen das Uran angereichert verkaufen

In den Neunzigern war Uran billig, analog zum Öl. Doch zwischen 2000 und 2007 verzehnfachte sich, grob gesagt, der Preis des Yellow Cake. Aber den Brasilianern geht es nicht um das Geschäft mit dem Uran auf relativ geringer Verarbeitungsstufe. Sie wollen es angereichert verkaufen.

Den Produktionszyklus beherrschen sie längst. Bis jetzt sind bloß die Mengen zu klein für eine industrielle Produktion; bei einem höheren Eigenbedarf und einem verstärkten Export sähe das anders aus. Brasilien hat die sechstgrößten Uranvorkommen der Welt, aber erst 30 Prozent des Landes wurden prospektiert.


Die Militärs forcierten in den Siebzigern das Atomprogramm. Dass Brasilien die Bombe will, unterstellt heute kaum noch jemand. Misstrauen und Kritik weckt jedoch der verfilzte Atomsektor. Während in Europa der Staat die private Atomwirtschaft kontrolliert, ist in Brasilien alles staatlich, mit absurden Folgen: Die Nationale Atomenergie-Kommission beaufsichtigt den Staatskonzern INB und ist zugleich ihr Besitzer. „Völlig überholt“ sei die Atomgesetzgebung, schimpft Minenvize Gomiero. Diese „Promiskuität“ wird Brasilien international immer wieder vorgehalten – ein ziemliches Hindernis, wenn man auf den Weltmarkt will.

Zwei Flugstunden weiter südlich wächst, vor einer tropischen Kulisse von Dschungel und Meeresbuchten, Angra 3 in einem Wald von Kränen empor. Brasiliens dritter Meiler wurde in den Achtzigern geplant, dann ging das Geld aus, obwohl Siemens und KWU schon jede Menge Material angeliefert hatten. 13 500 Tonnen davon wurden eingelagert. Seit 2010 wird weitergebaut an dem Vier-Milliarden-Euro-Meiler, ein modernisiertes Duplikat von Angra 2, und das Projekt wird noch Jahre dauern.

„Die Deutschen werden schwer bezahlen müssen für ihren Fehler“, unkt Angra-Chef Othon Luiz Pinheiro – für die Energiewende gibt es hier gar kein Verständnis. Wie alle Offiziellen rechnet Pinheiro den in letzter Zeit um jährlich 4,9 Prozent gestiegenen Stromverbrauch auf die Zukunft hoch. „Saubere Energie für die Entwicklung“, so steht es in der Halle der KWU-Turbine von Angra 2.

Ein Meiler läuft jahrelang ohne Betriebsgenehmigung

Wozu Brasiliens atomare Promiskuität führt, lässt sich anhand der Geschichte von Angra 2 gut aufzeigen. Der Meiler, 2000 ans Netz gegangen, funktionierte lange ohne eine Betriebsgenehmigung, unter anderem weil die Pläne für den Not- und Evakuierungsfall gravierende Mängel hatten – es gab über mehr als ein Jahrzehnt hinweg immer nur provisorische Lizenzen.

Die Dauergenehmigung wurde erst erteilt, nachdem der Technologieminister 2011 entsetzt bemerkte, wie angreifbar die damals geltenden rechtlichen Grundlagen des Atomkraftwerkes waren. Der verantwortliche CNEN-Chef wurde gefeuert. Aber die gewundene Küstenstraße, über die die 170 000 Einwohner der Stadt Angra fliehen müssten, ist immer noch so eng und verstopft wie eh und je.