Bakterien wachsen an langen Ketten von der Decke in stillgelegten Bergwerken und in Endlagern. Doch wie können Mikroorganismen in dieser unwirtlichen Umgebung leben? Und welche Auswirkungen hat dies für die Zukunft der Endlager? Dies wird wissenschaftlich untersucht.

Stuttgart - Wenn Stalaktiten von der Decke einer Höhle hängen, sollte das einer Geochemikerin wie Evelyn Krawczyk-Bärsch vom Institut für Ressourcenökologie des Helmholtz-Zentrums Dresden-Rossendorf eigentlich keinen Schauder über den Rücken jagen. Auch nicht an einem Ort wie der Mine Königstein in der Sächsischen Schweiz, in der bis 1990 mit Hilfe von Schwefelsäure Uran aus dem Berg gelöst wurde. Allerdings bestehen diese Stalaktiten nicht wie in anderen Höhlen aus Kalkstein, sondern aus lebenden Zellen: Hängen aber bis zu 45 Zentimeter lange Filme aus Bakterien von der Decke, kommen sich wohl die meisten Menschen wie in einem Grusel-Film vor – Schaudern inbegriffen. Für Evelyn Krawczyk-Bärsch aber gehört das inzwischen zum Beruf, schließlich erforscht sie solche Mikroorganismen.

 

Die Vorgeschichte ihrer Untersuchungen begann genau genommen 1963. Damals wurde in der Nähe der Ortschaft Königstein eine Uranlagerstätte entdeckt: 30 000 Tonnen dieses für Kernkraftwerke und Atombomben benötigten Elements steckten dort im Sandstein der Sächsischen Schweiz. Ab 1967 wurde das radioaktive Schwermetall dann abgebaut. Rasch wurde klar, dass sich herkömmliche Bergbaumethoden wegen des sehr geringen Urangehalts im Sandstein schlecht eigneten.

Bereits am Anfang der 1970er Jahre begannen Untersuchungen, ob sich das Uran nicht mit chemischen Verfahren besser aus dem Gestein lösen lässt. 1984 wurde der Abbau in Königstein dann komplett umgestellt. Durch Bohrlöcher wurde verdünnte Schwefelsäure in den Sandstein gepresst oder in dort gesprengte Kammern gefüllt. Später wurde die Flüssigkeit zusammen mit den aus dem Gestein gelaugten Uranverbindungen an die Oberfläche gepumpt. Dort wurde das Uran in einer Aufbereitungsanlage aus der Lösung gewonnen.

Verdünnte Säure in den Poren

In Königstein kamen bis 1990 über fünfzig Millionen Tonnen Gestein mit dieser Wasser-Schwefelsäure-Mischung in Berührung. Ein Teil der verdünnten Säure blieb dabei in den Poren stecken und löste weiter Uran und andere Schwermetalle heraus. Als das Bergwerk 1990 nach der Wende geschlossen wurde, konnten die Betreiber daher die Pumpen nicht einfach abstellen: Laufen die Stollen unkontrolliert voll Wasser, könnten die Uran- und Schwermetallverbindungen aus dem Sandstein ins Grundwasser oder in Bäche, Flüsse und Seen gelangen.

2001 begann die für das Stilllegen der Urananlagen in der ehemaligen DDR zuständige, bundeseigene Wismut GmbH daher damit, die Stollen kontrolliert und langsam mit Wasser zu fluten. Zusammen mit der aus dem Gestein sickernden Flüssigkeit wird dieses Wasser von der tiefsten Stelle des Bergwerks an die Oberfläche gepumpt. Dort trennt eine Aufbereitungsanlage das reichlich gelöste Uran ab, bevor das gereinigte Wasser in die Elbe geleitet wird.

Im Jahr 2008 steigen dann Evelyn Krawczyk-Bärsch, ihre HZDR-Kollege Thuro Arnold und weitere Wissenschaftler geführt von Wismut-Mitarbeitern in das Uranbergwerk Königstein, um das Flutungswasser zu untersuchen. Wie viele Schwermetalle sind dort gelöst? Wie viele Mikroorganismen leben darin? Die zweite Frage klingt auf den ersten Blick reichlich überflüssig: Uranlösungen wie das ziemlich saure Flutungswasser in Königstein sind schließlich extrem giftig, in dieser Brühe sollte eigentlich kein Organismus lange überdauern. Und doch berichteten andere Forscher bereits seit den 1970er Jahren, nicht nur Mikroorganismen in solchem sauren und giftigen Bergwerkswasser gefunden, sondern sogar einen wimmelnden Mikrokosmos entdeckt zu haben. Ein dichter Film aus einer Reihe unterschiedlicher Mikroorganismen kann im Wasser schwimmen, manchmal hängen auch Gebilde von der Höhlendecke, die Stalaktiten ähneln, aber ebenfalls ein Biofilm sind.

„Als wir neben den Flutungskanälen durch die Stollen liefen, schwammen im Wasser tatsächlich solche Biofilme, 20 bis 30 Zentimeter dick war dieser Schleim“, erinnert sich Evelyn Krawczyk-Bärsch. Von der Decke hingen Stalaktiten, von deren Spitzen Wassertropfen auf den Boden plätscherten. Untersuchungen zeigten, dass das Wasser sehr sauer ist und jede Menge Schwermetalle enthält, vor allem Eisen und natürlich Uran. In den Biofilmen fand HZDR-Forscherin Isabel Zirnstein etliche verschiedene Mikroorganismen, Bakterien, Algen, Amöben und sogar Hefen und Pilze. Besonders häufig aber sind Ferrovum-myxofaciens-Bakterien, die gern in saurem Wasser vorkommen. Diese Mikroorganismen setzen Eisen mit Sauerstoff um. Beides gibt es reichlich, das Bergwerk wurde bis zur Flutung gut belüftet. Unter solchen Bedingungen wachsen diese „Eisenfresser“ üppig. Mit der Zeit sammeln sich so in den Stalaktiten mehr und mehr Eisenverbindungen an. Sie färben den von der Decke hängenden Schleim in einem kräftigen orange-braunen Farbton.

Extreme Lebensumstände

Dort wachsen Organismen, die an extreme Lebensumstände angepasst sind. Damit sind vor allem das stark saure Wasser und der hohe Salzgehalt darin gemeint, die Radioaktivität spielt nur eine untergeordnete Rolle. Erheblich größere Probleme sollten die Mikroorganismen daher mit der starken Giftwirkung der im Wasser vorkommenden Uran- und Arsenverbindungen haben. Allerdings finden die Forscher diese giftigen Uransubstanzen nur im Wasser, nicht aber in den Biofilmen. Schauen sich die Wissenschaftler einzelne Zellen an, entdecken sie in den Membranen toter Bakterien zwar durchaus Uran, nicht aber in lebenden Mikroorganismen. „Offensichtlich haben lebende Bakterien also einen Sperrmechanismus, der Uran ausfiltert“, erklärt Evelyn Krawczyk-Bärsch.

Ganz ähnliche Biofilme wie im gefluteten Erzbergwerk Königstein sah die Forscherin auch 70 Meter unter der Erdoberfläche im Onkalo-Tunnel, der 300 Kilometer nordwestlich der finnischen Hauptstadt Helsinki liegt. Ab 2022 sollen dort im harten Gneis-Gestein die Uranbrennstäbe finnischer Kernkraftwerke ihr Endlager finden. In diesem Fels gibt es aber auch jede Menge Spalten und Risse, durch die Wasser sickert, das wiederum die Lebensgrundlage für Mikroorganismen bietet. Genau an diesen Rissen wachsen dann auch die Biofilme, die hier allerdings mit allenfalls einem Zentimeter viel dünner sind.

Dort findet die HZDR-Forscherin einen ganzen Mikrokosmos winziger Organismen – auch im Endlager wächst eine vielfältige Mikrobenwelt. Zurück in Dresden hat die Expertin in Proben dieser Biofilme einen interessanten Schutzmechanismus entdeckt: Die Mikroorganismen wandeln die giftigen Uranverbindungen in Uran-Phosphat-Kristalle um. Diese Feststoffe sind nicht mehr giftig, ihre Strahlung ist relativ gering, und sie werden den winzigen Bakterien so auch nicht mehr gefährlich.

Endlager geplant

Damit ist aber auch klar, dass solche Biofilme radioaktive Elemente durchaus aufnehmen und transportieren können. Und da auch in einem weiteren Endlager, das Schweden im harten Gneis plant, viele Risse sind und an den feuchten Wänden dicke Biofilme wachsen, ergänzt ein weiterer Punkt die Suche nach einem sicheren Endlager für hochradioaktive Stoffe: Welche Rolle spielen dort Mikroorganismen?